Meine Eltern werden alt. Teil 3

Meine Eltern werden alt. Teil 3

Also zog Muddi erst mal in ein Heim für eine Kurzzeitpflege. In Schleswig Holstein. Ich war so oft es meine Arbeit zuließ, bei ihr. Wenn ich Zuhause war, telefonierte ich täglich mit Vaddi, auch mit Muddi und auch mit den Schwestern.

Auszug aus meinem Tagebuch:

Von den Schwestern höre ich, dass Muddi die meiste Zeit nur im Bett liegt. Dass sie immer weniger alleine kann. Und das sie auch immer weniger alleine machen will. Was ist denn da los?

Ich nehme mir also doch wieder frei auf der Arbeit und fahre wieder nach Schleswig Holstein.

Und bringe Muddi auch in ihr Haus. Die Stufen sind kaum zu bewältigen, das Klo viel zu niedrig. Sie stolpert über alle Teppiche. So geht das nicht. Wenn ich zu ihr ins Heim fahre, liegt sie nur im Bett. Davon wird das nie besser…

Als ich heute in ihr Zimmer kam, war es leer. Auch auf dem Klo war sie nicht. Ich gehe zum Schwesternzimmer. Auf dem Weg dorthin ist noch ein kleiner Raum, indem manche Leute essen oder sich aufhalten.

Dort finde ich Muddi. Sie sitzt am Tisch und hat etwas zu trinken vor sich stehen. In diesem Raum sitzen noch 3 weitere Leute. Ein Mann im Rollstuhl schläft, eine Frau weint pausenlos leise vor sich hin und eine weitere Frau spricht liebevoll mit ihren Plüschaffen und streichelt ihn. Und Muddi mittendrin.

Meine Muddi. Meine Muddi, die man ja mit den anderen Leuten hier wohl nicht vergleichen kann! So ist sie nicht, sie ist ja nicht blöde oder alt oder dement oder sowas! Muddi doch nicht!!!

Ein junger Mann von der Betreuung kommt vorbei. Er erklärt mir, dass Muddi nicht nach unten in den Speisesaal will und sie jetzt immer hier isst. Und bindet ihr ein Lätzchen um!!! Wie sieht das denn aus?

Beim Mittagessen leiste ich ihr Gesellschaft. Ich muss dabei mehrere Male den Löffel oder Gabel wieder in Richtung Essen rücken und das Lätzchen ist vollgekleckert.

Die Heimleitung sagt mir, dass sie so in dem Zustand nicht nach Hause kann und in weniger als 2 Wochen ist die Kurzzeitpflege rum. Was machen wir denn dann?

 

Uns war klar, so kann es nicht weitergehen. Wir wohnen zu weit weg. Ich bin, wenn auch nur noch halbtags, aber doch berufstätig. Ich bin mit fast 60 Jahren auch zu alt, eine neue Arbeitsstelle in ihrem Ort zu finden, wir wollen auch nicht wirklich umziehen.

Da ist die naheliegende und auch vernünftige Lösung, sie ziehen zu uns. Also in unsere Nähe.

Aber mein Vater wollte einfach nicht umziehen. „ Hier gehen wir nur mit den Füssen zuerst raus“, sagte er.

Der Weg zu ihr in die Kurzzeitpflege war für ihn auch sehr beschwerlich und, das mussten wir plötzlich feststellen, sie stritten sich andauernd.

Wo ist das Vorzeige-Liebespaar geblieben, das wir immer bewundert und dem auch nachgeeifert haben?

Die Steinerne Hochzeit hatten wir alle noch zusammen gefeiert, 67,5 Jahre!

Zu dieser Zeit hatte ich vieles noch nicht verstanden:

Muddi war krank, plötzlich völlig verändert und Vaddi konnte sich damit gar nicht abfinden. Sie soll doch bitte wieder so sein wie früher! Zum Beispiel, als sie damals, vor 30 Jahren, ihr Sprunggelenk gebrochen hatte und am nächsten Tag, zwar mit Krücken, wieder zu Hause war. Auch mit einem Schlag!